Freitag, 23. März 2012

Die Leiden des alten K. – Tagebuch eines Trainingslagers auf Mallorca

Und täglich grüßt das Murmeltier

Endlich wieder März und damit auch wieder Trainingslager auf Mallorca. Irgendwie erinnert die ganze Szenerie an den Film "It's Groundhog Day!" mit Bill Murray; das Wort dejà vu muss von den radsportbegeisterten Franzosen für exakt diesen Fall kreiert worden sein.

Es beginnt schon am Flughafen wenn die übliche Mischung aus Pensionisten und Sportlern (diesmal überwiegen die Pensionisten, wahrscheinlich immer noch eine Nachwirkung des Arabischen Frühlings) am Gate rumlungert und die Gruppen sich wechselseitig taxieren, wer wohl welcher Spezies zuzurechnen ist.

Am Schlimmsten sind dabei jene die beiden Gruppen angehören, sprich die Radler-Opas. Da werden schon im Kaffeehaus vor dem Gate, gerne auch bei einem kleinen Vormittags-Pils, lautstark frühere und unmittelbar bevorstehende Radlerlatein-Räuberpistolen ausgetauscht, man könnte meinen einem Klassentreffen von Eddy Merckx, Bernard Hinault und Francesco Moser beizuwohnen.

Das nächste Flashback dann im Hotel. Aus Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Gott weiß welchem Grund buche ich immer das selbe Hotel. Hier hat sich seit dem Krieg bis hin zum Personal überhaupt nichts verändert. Die alte, böse und die junge, nette aber ein bisschen dickliche Rezeptionistin, das Omar Sharif-Double an der Lobby-Bar, der Oberkellner im Restaurant der einen sofort erkennt und wie einen Familienangehörigen begrüßt. Sogar die Menüfolge im Restaurant kann man auch ohne Glaskugel und große Ohrringe wochentaggenau vorhersagen. Selbst manche Gäste kennt man vom Sehen schon viele Jahre und nickt sich freundlich zu, obwohl beide Seiten vergessen haben woher die anderen eigentlich kommen, geschweige denn sich an die Namen zu erinnern.

In medias res, zum eigentlichen Zweck der ganzen Übung. Geläutert aus früheren Fehlern und nach vielen Jahren Erfahrung wird man diesmal alles besser machen und nicht übermotiviert von ersten Frühlingsboten (im Radlerjargon bedeutet das konkret "kurz/kurz") versuchen das RAAM zu simulieren. Ganz bestimmt. Und dann geben mir die beim Radverleih das Rad mit dem letzte Woche das österreichische Triathlon-Urgestein Alex F. die Straßen der Insel unsicher gemacht hat (wen's interessiert, er hat in der Woche gute 1.000km abgespult, dazu war er auch täglich Schwimmen und Laufen und hat selbstredend jeden Abend den Zapfenstreich versäumt). 

Es muss also eindeutig am Rad liegen, dass ich beim ersten nachmittäglichen Einrollen nur wegen der einbrechenden Dunkelheit knapp nicht dreistellig war und anderntags den ersten 100er der Saison praktischerweise gleich mit dem ersten 200er der Saison zusammengelegt habe. Ich freue mich schon darauf wie sich meine Beine und das Sitzfleisch am dritten oder vierten Tag anfühlen, das ist das Problem mit dem dejà vu.

Das Positive daran ist, dass man bereits in früheren Jahren erprobte Überlebenstechniken entwickelt hat. Das ganze Leben reduziert sich schrittweise auf Essen, Schlafen und Trainieren, man ist vollends mit der eigenen nackten Existenz und der Bewältigung des Pensums beschäftigt. Es hat etwas beinahe Meditatives wie man von Tag zu Tag immer mehr die Welt rundherum völlig ausblendet, sich jeden Tag aufs Neue aufrafft und in seinem Tunnel lebt. Nie sind wir Hobby-Dilettanten näher an den Tour-Helden als in einem zu ehrgeizig angelegten Trainingslager. Die Gedanken drehen sich ausschließlich um Umfang, Intensitäten, den Wetterbericht, technische Gebrechen, Navigationsprobleme und last but not least Regeneration. Neben dem Schlafen (das ist einfach: viel) kommt hier dem Essen zentrale Bedeutung zu.

Über die Ernährung im Trainingslager sind schon Bibliotheken gefüllt worden, aber kaum einer hat sich wissenschaftlich mit den praktischen Herausforderungen im Alltag auseinandergesetzt. Das Grundproblem liegt darin, dass wir Hobetten ebenso wie fast alle Leistungsklassen (Junioren, Amateure usw.) mit Ausnahme der wirklich Großen in den gleichen Hotels untergebracht sind wie die zahlenmäßig dominanten anderen Wintergäste, die Pensionisten. Und die Standardverpflegung orientiert sich naturgemäß an zweiter Gruppe. Kann man die Folkloreabende und sonstiges Beschäftigungsprogramm noch problemlos ausblenden, so wird es spätestens beim Buffet kritisch.

Denjenigen möchte ich sehen, der bei einem Trainingsaufwand der gut und gerne einer durchschnittlichen Arbeitswoche entspricht (und ich spreche hier nicht von den ÖBB) nicht spätestens am dritten Tag beim Dessertbuffet schwach wird. Insbesondere, wenn man sieht welche Berge von Essen sich die durchwegs beleibten und schnaufenden Senioren auf ihre Teller laden, wahrscheinlich um den Energiebedarf von Einkaufen, Spazierengehen und Kaffeejause zu decken. Um beim Frühstücksbuffet im Wissen um die bevorstehenden Leiden des Tages den frisch zubereiteten Palatschinken zu widerstehen braucht es schon eine Willensstärke wie Lance Armstrong zu seinen besten Zeiten.

Ich habe im Laufe der Jahre die Beobachtung gemacht, dass alle Triathleten gleich welcher Leistungsklasse latent essgestört sind. Und so entsteht hier ein regelrechter Teufelskreis: man futtert mehr als man sollte und eigentlich wollte, versucht dies durch noch härtere und längere Einheiten auszugleichen, weshalb man anderntags umso anfälliger für die Versuchungen des Buffets wird...

Eine andere Neurose, die auf so einem Trainingslager gerne und gründlich gepflegt wird ist die Angst vor Infekten. Bekanntlich ist der Körper in Phasen intensiver Belastung besonders anfällig für Erkältungen und sonstiges Ungemach. Wie es der Teufel so will sind wir ausgerechnet in dieser heiklen Phase mit einer der diesbezüglich gefährlichsten Bevölkerungsgruppe zusammengesperrt. Was die alten Leute husten und rotzen geht auf keine Kuhhaut! 

Trotz frühsommerlicher Temperaturen laufen sie alle in himalayatauglicher Adjustierung herum und trotzdem (oder deswegen?) gibt es keinen Tisch wo nicht eifrig allerlei widerliche Viren und Bakterien verteilt werden. Essen vom Buffet ist ja aus dem Blickwinkel der Grippeprophylaxe schon unter normalen Umständen wie Russisches Roulette, aber wenn man Teller und Besteck dann noch mit dem kränkelnden Krampfadergeschwader teilen muss kommt es Harakiri mit Anlauf gleich. 

Und wer diesem Unbill gegen alle Wahrscheinlichkeiten erfolgreich getrotzt hat, kriegt seine Abreibung eben auf dem Heimflug, im Airbus gibt es kein Entkommen. Und trotzdem sind wir nächstes Jahr wieder hier, bis wir irgendwann auch zu beiden Gruppen gehören.

Drafting für Fortgeschrittene 

Von Jänner bis April fallen die europäischen Radfahrer Jahr für Jahr über Mallorca her wie die sprichwörtlichen Heuschrecken. Das führt zur nicht immer unangenehmen Situation, dass man praktisch kaum jemals alleine gegen die Elemente kämpfen muss sondern immer irgendwann eine Gruppe kommt an die man sich anhängen kann. Speziell wir Triathleten haben ja eine natürliche Veranlagung Windschatten zu suchen und zu finden, gleichzeitig sind wir aber nicht sehr erfahren im Fahren im dichten Pulk und erschrecken gerne mal wenn wir einen Bremshebel im Hintern spüren und neigen in solchen Situationen gerne zu unerwarteten Manövern.

Daher an dieser Stelle eine kleine Regelkunde für das sichere Überleben auf Mallorca. Dazu muss man zunächst einige nationale Vorurteile auffrischen und vertiefen. Es wird nicht weiter verwundern, dass die weitaus größte Gruppe auf Mallorca die Deutschen stellen, warum soll das auch ausgerechnet bei den Radlern anders sein als in der Gesamtpopulation. Und warum sollen ausgerechnet deutsche Radfahrer anders sein als Deutsche eben so sind. Ich darf nur an Rudolf Scharping als Präsident des Bundes deutscher Radfahrer erinnern, viel mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen, bekanntlich fängt der Fisch beim Kopf zum Stinken an.

Andere signifikante Gruppen sind Österreicher (zum Glück nur von uns als solche zu erkennen), Schweizer, Tschechen, Holländer, Belgier, Engländer und Skandinavier (nur von denen als Schweden, Dänen oder Norweger zu unterscheiden).

Wie in allen Dingen zeichnen sich die Deutschen auch beim Radfahren durch die ihnen eigene Mischung aus mangelndem Talent, krankhaftem Ehrgeiz und überbordendem Selbstbewusstsein bei gleichzeitiger Abwesenheit jedweder Spur von Humor und Geistesgegenwart aus.

Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Mallorca-Radler eine ungewöhnliche Heterogenität aufweisen, vom Amateurniveau knapp am Olympia-Limit bis zum Stützrad-Bedürftigen ist da alles dabei. Und jeder einzelne fühlt sich wie Jan Ullrich anno 1997 und hat auch die entsprechende technische Ausrüstung im Gegenwert eines Eigenheims mit auf die Insel gebracht; selbst die allerneuesten ZIPP Firecrest als Stützräder sollen schon gesichtet worden sein.

An einem typischen Morgen fährt man also von Palma an der Küste entlang ostwärts („Delphinberg") und kann die Gruppenbildung in natura beobachten. Man überholt ein paar Pfeifen und prompt hat man sie am Hinterrad kleben. Abschütteln wäre möglich, kostet aber unverhältnismäßig viel Kraft, also findet man sich damit ab. Nach einiger Zeit kommt von hinten ein Expresszug, gerne auch im einheitlichen Team-Trikot und mit Wattmessgeräten ausgestattet, und diesmal ist man selber derjenige der versucht sich anzuhängen. So entstehen in der ersten Stunde durchaus ansehnliche Gruppen von zwanzig und mehr Fahrern. Der Alptraum aller mallorquinischen Postboten ist die Vereinigung von zwei derartigen Großgruppen, analog zu den Banken gilt hier nämlich das Prinzip "too big to overtake".

Es liegt in der Natur der Sache, dass das Leistungsniveau in einer derartigen Gruppe sehr stark streut. Während vorne richtig gerackert wird beginnt man sich im Mittelfeld schnell zu langweilen und hin und wieder die Nase in den Wind zu stecken, nur um zu erkennen dass ein Tempo von knapp Fünfzig doch recht beachtlich ist und man besser im Windschatten bleibt. Das zeitweilige Ausscheren ist dennoch unbedingt anzuraten, weil jede Gruppe ihre eigene Duftwolke entwickelt und man zur Schonung der Atemwege, Schleimhäute und Augen regelmäßig frische Luft zuführen sollte. Jeder, der als Jugendlicher Fußball, Hockey oder einen vergleichbaren Mannschaftssport gespielt hat und die Geruchsentwicklung in einer Männerumkleidekabine kennt, weiß wovon ich spreche. Gleichzeitig reißen im hinteren Drittel bei jedem Kreisverkehr und an kleineren Anstiegen Löcher auf, die mit roter Birne und heraushängender Zunge zugefahren werden.

Selbstredend, dass man sich aus ökonomischen Gründen tunlichst immer im vorderen Mittelfeld aufzuhalten hat, mit ausreichend Respektabstand zu den armen Teufeln die sich vorne in der Tempoarbeit abwechseln sowie mit gehörigem Sicherheitspuffer zu den irrlichternden Sturzkandidaten am Ende. Die Kunst besteht nun darin zu erkennen wann es sich lohnt in einer Gruppe zu bleiben, beziehungsweise wann man besser an der nächsten Abzweigung eigene Wege geht und das Spiel von Neuem beginnt.

Kritisch wird es beispielsweise, wenn vorne Uneinigkeit herrscht und die Wechsel nicht mehr flüssig vonstatten gehen. Spätestens wenn man das zweite Mal selber Führungsarbeit geleistet hat wird es allerhöchste Zeit für eine technische Pause. Das Schmieden von Allianzen zwecks Bildung einer homogenen Kleingruppe kann man sich im Regelfall sparen, wie sollte es bei auf der Straße aufgelesenen Zufallsbekanntschaften auch anders sein.

Die perfekte Gruppe besteht aus vorne sechs bis acht Fahrern vom selben Team die ihr eigenes Tempo fahren und sich routiniert abwechseln, begleitet von nicht mehr als vier bis sechs "Gästen" die sich dezent im Hintergrund halten und „lutschen". Es schadet zwar nicht wenn die Tempomacher die Statur von Cancellara und Konsorten haben, gleichzeitig hat es sich jedoch als hilfreich erwiesen wenn sie mindestens einen oder zwei Fahrer mit dem Körperbau eines Sprinters mitschleppen damit sie es nicht übertreiben und man gar selber in Verlegenheit gerät. Wenn einem das Schicksal so etwas beschert ist es fast egal wo die hinfahren, fast alle kehren irgendwann nach Palma zurück, man muss einfach dranbleiben und schafft so ohne viel Aufwand seine 1.000 Wochenkilometer mit null Trainingswirkung.

Auffrischen & Vertiefen, Privatissimum 

Anscheinend war ich bei meiner Typologie der Radlernationen noch nicht präzise genug, daher hier die Einzelkritik in bewährter Kicker-Manier:

Deutschland: 3-
Ich denke zu unseren Freunden aus dem Norden habe ich alles Wesentliche gesagt. Ganz generell sollten wir Österreicher ja sehr vorsichtig sein bevor wir uns Deutschen anschließen, aber besonders fragwürdig wird es wenn sie uns die Führung anvertrauen wollen - allerspätestens an diesem Punkt müssen sämtliche Alarmglocken schrillen, und der anständige und fleißige Österreicher tut erfahrungsgemäß gut daran ein derartiges Angebot tunlichst auszuschlagen und schleunigst das Weite zu suchen.

Zu meiden sind auch sehr große Vereine, oft aus Berlin, Hamburg und dem Großraum Köln, leicht an ihren farbenprächtigen Trikots mit Sponsoren von Weltgeltung wie "Trinkhalle Michalewski", "Autohaus Hase" und dergleichen mehr zu erkennen. Speziell in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft veranstalten sie lautstark grölend, raumgreifend und sich dabei wie eine Horde Wikinger gebärdend eine Art Privatrennen auf der Insel, wobei sich aus unerfindlichen Gründen sehr viele andere Teutonen diesen Rotten anschließen. Hat wohl irgendwas mit der barbarischen Vergangenheit der Germanen jenseits des Limes und ihrem Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit zu tun. Egal, für uns gilt in so einem Fall: Rette sich wer kann!

Wenn überhaupt dann sind kleine Junioren-Teams anzuraten, die fahren in der Regel ein gleichmäßig hohes Tempo und erwarten von uns Schmarotzern keine Beteiligung an der Führungsarbeit. Sind leider schwer zu finden und haben in der Regel bald einen Rattenschwanz an zweifelhaften Gestalten im Schlepptau.

Benelux: 2-
Fahrer aus diesen Ländern sind prinzipiell eine gute Wahl bei der Gruppenbildung. Speziell die Holländer sind meist große, kräftige und gutmütige Burschen. Sie sind Wind gewohnt, murren nicht und tolerieren unseren österreichischen Schmäh in der Minimierung der Führungsarbeit ziemlich lange. Da sie wie gesagt eher nicht von der Sorte Bergziege sind empfiehlt es sich bei jedem zweiten Schupferl kurz anzutreten um Fragen über die Kräfteverhältnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen, dadurch finden sie sich erfahrungsgemäß auch leichter mit ihrer Rolle als Muli ab.

Leider sind sie zahlenmäßig sehr selten, wenn überhaupt trifft man sie am ehesten in Zweier- oder Dreiergruppen, hier ist die Gefahr sehr groß bald aufzufliegen.

Skandinavien: 2-
Es gilt ähnliches wie bei den Benelux-Radlern, im Unterschied zu diesen treten sie zudem gehäuft in Form von Junioren-Teams auf. In letzterem Fall gilt das schon zu den deutschen Junioren gesagte, wenn einem das Schicksal derartiges beschert: Zugreifen!

Die Nordmänner zeichnen sich ebenso wie die Engländer dadurch aus, dass sie an Tagen wo unsereins überlegt doch noch die Überschuhe auszupacken gnadenlos in kurz/kurz unterwegs sind, selbst Abfahrten bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt scheinen ihnen nicht das Geringste auszumachen. Bei den Briten tippe ich auf Restalkohol vom Frühstück, und für die Nordlichter ist ein bewölkter Märztag mit 10 Grad wahrscheinlich die letzte Gelegenheit ohne Ganzkörper-Sonnenschutzbekleidung das Iglu zu verlassen.

Tschechien: 1+
In den letzten Jahren stellen die Tschechen einen immer größeren Anteil an den Radfahrern auf Mallorca, und das ist beileibe kein Nachteil. Sie sind meist im Verein organisiert, zeichnen sich durch eine ziemlich homogene Leistungsdichte auf brauchbarem Niveau aus und haben oft einen dezidierten Kapitän dabei der für Disziplin sorgt, manchmal sogar einen Trainer in einem Begleitfahrzeug.

Außerdem sind sie weniger mitteilungsbedürftig als andere Nationen, trotz im Regelfall guter Englischkenntnisse beschränkt man sich auf den Austausch des Wesentlichen (Woher, Wohin, Wie lange, Wie schnell) und wird ansonsten in Ruhe gelassen und als Wurmfortsatz der Gruppe akzeptiert.

Als besonderes Zuckerl haben sie bisweilen auch recht ansehnliche weibliche Rennfahrerinnen im Team. Ich möchte mich hier mitnichten auf das heikle Terrain der Kurvendiskussion über Frauen im Ausdauersport begeben, oft sind diese ja auch auf den zweiten und dritten Blick nur an den Accessoires zu erkennen (die fragwürdige Mode weißer Radhosen hat dies deutlich erschwert, selbst rosa Stützstrümpfe sind heutzutage nicht mehr eindeutig!). Weil in diesen Tagen der alpine Skiweltcup ins Finale geht drücke ich es mit einer von den Skidamen entlehnten Metapher aus: der Trend bei den Amateuren ging in den letzten Jahren eher weg von Lindsay Vonn und hin zu Anja Pärsson. Wenigstens die tschechischen Fahrerinnen scheinen sich diesem Gesetz der zunehmenden Masse zu widersetzen.

Österreich: ohne Wertung
Es ist schwer sich selber zu benoten, darum beschränke ich mich auf die Charakterisierung der wichtigsten Untergruppen. Da wären zunächst mal die Maulhelden vom Flughafen. Die trifft man eigentlich immer in Radlerpanier, das blitzblank saubere Rad in Sichtweite geparkt, in den Biergärten am Ballermann und so gut wie nie auf der Landstraße. Ihr Aktionsradius scheint dem Lauf der Sonne von "Josy" über den "Bierkönig" zur "Alaska Bar" zu folgen. Wenn man wissen will wo es heuer das billigste Bier gibt ist man dort gut aufgehoben ("Zum Münchner Kindl", 0,5l Paulaner vom Fass um €1,50). Obwohl sie sich also offensichtlich kaum vom Fleck bewegen legen sie größten Wert darauf immer kurz/kurz in der Sonne zu sitzen, schließlich muss man der Frau zuhause ja irgendwie beweisen wie viel man am Rad gesessen ist.

Dann gibt es etliche schräge Vögel in Trikots vom Schwechater oder Neusiedlersee-Radmarathon und ähnliches mehr. Anstatt die Teilnahme an derartigen fragwürdigen Kirmes-Veranstaltungen zu leugnen oder bestenfalls als Jugendsünde abzutun tragen sie noch freiwillig das Brandzeichen mit sich rum. Im Prinzip gilt auf Mallorca das gleiche wie in heimischen Gefilden: Ignorieren. Wenn geht einfach Abhängen (vom Neusiedlersee kennen sie keine Berge, der Anstieg auf eine Autobahnüberführung reicht dazu meist völlig aus), ansonsten in die Trickkiste greifen (sehr effektiv: gezielter Bauernschneuzer, je nach Temperament mit oder ohne Entschuldigung, besonders gut kommt es sich schon kurz vorher zu entschuldigen), und wenn das alles nichts hilft Vortäuschen eines technischen Defekts oder medizinischen Notfalls.
Gleiches gilt für Fahrer im Rapid Wien-Dress. Die gibt es wirklich, nur zu gerne würde ich gestehen, dass dies meiner krankhaften Phantasie entspringt oder auf einen Sonnenstich zurückführen.

Tja, und dann gibt es noch die Gruppe die bei den 99ers am häufigsten anzutreffen ist. Schon von weitem erkennt man sie an ihren Skinfit-Outfits, die schlimmsten Exemplare tragen die Arbeitskleidung schon im Frühstücksraum. Sie wurden als Babys wahrscheinlich ein bisschen zu kurz gestillt, haben ein zu kleines Zumpferl oder wurden im Gymnasium wegen ihrer Brille gehänselt, jedenfalls hat irgendwas in ihrem Leben sie dazu gebracht sich dem Triathlonsport zuzuwenden. Im Unterschied zu den anderen Gruppen nehmen sie die Sache verhältnismäßig ernst, sie haben einen strikten Trainingsplan, täglich werden mindestens zwei Disziplinen trainiert, es gibt explizite Ruhetage, auch auf Regenerationstechniken wird geachtet.

Was diese Gruppe am besten beschreibt ist der ausgeprägte Individualismus. Sie unterhalten sich beim Frühstück und Abendessen zwar über ihr jeweiliges Programm, aber weil jeder einen etwas anderen Trainingsplan hat kommt es kaum einmal zu gemeinsamen Gruppenausfahrten, sondern es bilden sich täglich Kleinstgruppen von zwei bis drei Fahrern, die dann alles oben gesagte beherzigen und sich ihre eigene Wirtsgruppe suchen. Also schlechte Nachrichten für alle anderen, bei uns ist nichts zu holen.

Paria 

Haben wir uns bislang damit beschäftigt wie man die ideale Gruppe findet, so möchte ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit an dieser Stelle anführen mit welchen Fahrertypen man sich niemals, unter keinen Umständen, und sei man noch so streichfähig, im Gruppetto wiederfinden will.

1. Rucksackfahrer
Der Inhalt des Radfahrerrucksacks wird mir zeitlebens ebenso ein Mysterium bleiben wie eine Damenhandtasche. Was kann einem so an Unbill zustoßen? Lassen wir mal einen Unfall beiseite, bei Feindkontakt hilft auch ein Rucksack nicht viel. Pannen, Hunger, Durst, Schlechtwetter und Navigationsprobleme, das ist es im Wesentlichen. Für diese Fälle gibt es seit Jahrzehnten bewährte Aufbewahrungsmöglichkeiten am Rad und in der Trikottasche. Was also führen die in ihren Rucksäcken mit?! Ein Zelt? Schnitzel und Erdäpfelsalat im Tuppergeschirr? Ein Flascherl vom Guten in der Kühlbox?

All jenen die mit Trinkrucksack, Lenkertasche und sonstigen Konstruktionen aus dem Herv*s-Prospekt durch die Gegend rollen sei ins Stammbuch geschrieben: dort wo ihr den Krempel gekauft habt gibt es auch das dazugehörige Elektro-Trekkingbike. Oder besser noch, Golf ist doch auch ein schönes Hobby. In Golfhosen seht ihr auch deutlich besser aus als im engen Raddress!

2. Fahrer mit Wolle auf den Beinen
Rennradfahrer haben rasierte Beine. Das ist so. Nach 100 Jahren Radsport kann man durchaus mit Fug und Recht behaupten, dass dies keine flüchtige Modeerscheinung ist. Über das Für und Wider und die praktischen Probleme sei an die diesbezüglichen Ausführungen von Peter Winnenden verwiesen, besser und humorvoller kann man sich dem Thema nicht nähern.

In diesem Sinne, jeder kann selbst entscheiden. Entweder siehe 1. Rucksackfahrer, oder aber "Weg mit dem Speck!" und "Owa mit'n Pölz!"

3. Fahrer im Maillot jaune
Ausnahmen sind alle noch lebenden Toursieger, auch wenn sie zwischenzeitlich des Dopings überführt wurden. Beim gepunkteten Bergtrikot muss man unterscheiden: das Finisherjersey von "La Marmotte" sieht diesem zum Verwechseln ähnlich, diese Fahrer sind natürlich jederzeit respektvoll zu behandeln. Anders liegt der Fall beim Bernie Kohl-Gedächtnisleiberl, hier bietet sich siehe 1. Rucksackfahrer an.

Auch Träger des Assos-Kuhfleckentrikots sind mit Vorsicht zu genießen. Deren gibt es drei Arten: Schweizer, Schwule und Gunther. Da wir Gunther schon lange kennen und er in beiden Fällen bislang einen einwandfreien Leumund hat lassen wir das bei ihm als sympathischen Spleen durchgehen, sonst aber gilt: Holzauge, sei wachsam!

Neben diesen Hauptgruppen gibt es noch jede Menge Patienten, etwa all die Ästheten die falsch am Rad sitzen, wie vom Teufel besessen mit dem Oberkörper wippen oder in die Pedale hacken wie weiland Klinsmann in die Werbetafel (oder war es Ballack?). Prinzipiell zu meiden sind naturgemäß Fahrer mit Dreifachkurbel und MTB-Kassetten. Auch Problembären, die zu ihren iPod-Stöpseln im Ohr laut mitsingend durch den Tann sausen, sind mit hier schon untergekommen. Das sind alles Fälle die situativ zu entscheiden sind, ich hoffe aber die groben Leitlinien deutlich gemacht zu haben.

Auch die mitlesenden "Zivilisten" haben bestimmt erkannt, dass wir Rennradfahrer eine sympathische, tolerante und verschworene Gemeinschaft sind und wir freuen uns schon auf neue Gesichter bei der nächsten 99ers Ausfahrt.

Manfred & Sons
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Vereinigungskampf mit der Rennfahrertruppe von Manfred über 2.400 Höhenmeter zu meinem Ruhetag wird. Treffpunkt war Port Sóller, ich von Süden und sie von Norden kommend. Nun gut, ich hatte schon mit zwei Halbetappen gerechnet und die halbe Stunde Wartezeit auf meine phänomenale Frühform zurückgeführt. Aber dann ging es erst so richtig los. Zunächst mal waren sie sechs Mann hoch von der beschwerlichen Anreise rechtschaffen müde und wir haben gleich mal eine Kaffeepause eingelegt; das war soweit ich mich erinnern kann meine erste Kaffeepause überhaupt während eines Trainingslagers. Aus der halben Stunde Stehzeit wurden so im Handumdrehen fast eineinhalb Stunden, ein Espresso, ein Cappuccino und ein Mandelkuchen. Mit Schlag.

Bei seinen Kumpanen handelt es sich um alte Rennfahrerhaudegen, die mit Manfred in dieser Woche schon sichtlich ihren Spaß hatten. Leistungsmäßig hat er uns keine Schande gemacht, er präsentiert sich nach wie vor so wie bei unserer ersten gemeinsamen Ausfahrt vor einigen Wochen und hält locker mit der Partie mit. Ich glaube er hat nicht mal registriert, dass die Intervalle bei den Führungswechseln tendenziell zu seinen Ungunsten ausgefallen sind. Es scheint, dass er den Kessel mit Zaubertrank, in den er im Winter offenbar gefallen ist, bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken hat. Was anderes haben wir uns auch nicht erwartet.

Jetzt folgt das große Aber: bei der Stilkontrolle ist er leider mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Kann man die überdimensionierte Werkzeugtasche noch dem Hürzeler in die Schuhe schieben, so sind die Oberrohrtasche und die Kompressionssocken durch absolut nichts zu entschuldigen. Wir sind hier nicht bei Heidi Klum! Man kann sich lebhaft vorstellen wie Manfred mit einer derart geckenhaften Aufmachung bei den Rennfahrern der alten Schule im Laufe der Woche sein Fett abbekommen hat, auch heute war ihm der Platz auf der Schaufel gewiss.

Zurück zu den Verzögerungen. Wie es der Teufel so will hatte sich der Leithammel und oberste Stilpolizist der Gruppe seinen Magen verdorben und war nicht wirklich in Topform. Wir alle wissen, dass es bei den Unmengen an Nahrung die wir täglich in uns hineinschaufeln praktisch unmöglich ist den Verursacher zu identifizieren. War es der Muschelsalat? Der Fisch? Das Geflügel? Die Eier? Ungewaschenes Obst? Wie auch immer, was folgte war jedenfalls ein Potpourri aus Zusammenwarten, Klopause, Cola-Kaufen an der Tankstelle und zwischendurch ein bisschen Radfahren. Unterm Strich fast drei Stunden Stehzeit und somit ein recht geruhsamer Tag.

Ich hoffe zwar nicht, dass jemand ernsthaft daran gezweifelt hat, nur fürs Protokoll: die Bergwertung am Puig Major war natürlich zu keinem Zeitpunkt gefährdet.

Der einzige Haken an der Sache war, dass ich am Schluss noch ein Einzelzeitfahren quer über die Insel zurück nach Palma zu bewältigen hatte. Der Wind war zum Glück einsichtig, es hat jedoch in solchen Fällen auch schon arme Teufel gegeben die bei ähnlicher Ausgangslage ihr Frühstück verpasst haben.

Jedes Jahr aufs Neue stellt mich dabei die Navigation um den Flughafen und die Ausläufer von Palma vor die ewig gleichen Herausforderungen. Bis ich mich wieder im Detail erinnern kann an welcher Gstettn ich welchen Schleichweg durch die unsäglich hässlichen Gewerbegebiete, Kuhdörfer und asphaltierten Feldwege nehmen kann ist die Woche auch schon wieder um. Die rührigen Holzschilder vom Hürzeler sind dabei auch nur bedingt hilfreich, oftmals erweisen sich gerade diese als teuflische Fallen: wenn man mal von den ausgeschilderten Straßen auf seine Schleichwege gewechselt ist und ein verwittertes Schild oder der Baum an dem es befestigt war hat im Winter das Zeitliche gesegnet ist man für eine gute halbe Stunde im landwirtschaftlichen Niemandsland unterwegs. Da kommt Freude auf, speziell eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang.

Irgendwie fühle ich mich dabei immer wie ein Alzheimerpatient, der muss auch jeden Tag aufs Neue seinen Namen lernen und wird seiner Frau und seinen Kindern vorgestellt. Sobald ich eine markante Palme, ein Haus oder eine windschiefe Mühle als Orientierungspunkt ausgemacht habe fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich mir genau diesen Punkt schon x-mal und diesmal für immer eingeprägt habe. Wo ist das Murmeltier wenn man es braucht?!

Running Palma
Ich durfte im Laufe der Jahre ja schon in vielen am Meer gelegenen Städten meine Runden drehen, etwa in Auckland, Sydney, Kapstadt, Honolulu, Rio de Janeiro, Singapur, Hong Kong, New York, Hamburg, Kopenhagen, Istanbul und San Francisco um nur die bekanntesten zu nennen. 

Meine Erfahrung mit Palma beschränkt sich auf die Monate Februar und März, ich habe also keine Ahnung wie es sich hier ab Juni abspielt, und wenn ich die um diese Jahreszeit noch größtenteils brachliegende Infrastruktur sehe will ich das auch nicht wissen (Stichwort Megapark).

Derzeit jedoch kann Palma in punkto Laufstrecken durchaus mit den genannten Orten mithalten. Mehr noch, es ist klein, einigermaßen organisiert und sauber, und man ist Sporttouristen gewohnt. Speziell wenn man durch die Stadt und weiter am Hafen vorbei Richtung Andratx läuft kann man das sogar mit einer kleinen Sightseeing-Tour kombinieren (um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, die Kathedrale geht mir am Allerwertesten vorbei, aber als Kulisse ist es ganz nett).

Nachdem sich auf meinen letztjährigen Aufruf noch kein Verleger gefunden hat der für einen humoristischen Bierführer durch den Indischen Ozean einen Vorschuss springen lassen will (Mogadischu kostet extra, soviel vorweg), wie wäre es mit Laufstrecken in aller Welt (Aufpreisliste wird nachgereicht)?

Auf Wunsch auch mit einer Klassifikation der größten ästhetischen und ergonomischen Umweltverschmutzungen (Beispiel Palma: zu viele fette Deutsche, die rotgesichtig und heftig schnaubend mehr hüpfen als laufen und dabei kaum Fleck kommen; gilt gleichermaßen für Männchen wie Weibchen und alle Altersgruppen).

Menschliches und Allzumenschliches 

Nachdem wir das Thema Nahrungsaufnahme ja bereits angeschnitten haben, müssen wir den Gedanken nun auch konsequent weiterführen. Wie wir spätestens seit Frau Merkel wissen muss man die Dinge vom Ende her denken. Für Außenstehende ist es beispielsweise eines der ungelösten Rätsel der Menschheit warum die Myriaden von Radfahrern auf Mallorca ausgerechnet um 10:00 Uhr losfahren (+/- 15 min). Laien erklären sich dies mit dem Temperaturverlauf, dass es also um 10:00 Uhr verglichen mit etwa 9:00 Uhr bereits wärmer sei.

Guter Ansatz, trifft aber nicht ganz den Kern der Sache. Der wahre Grund ist der, dass die Hotels in der Regel erst ab 8:00 Uhr die Pforten zum Frühstückssaal öffnen. Punkt 8:00 Uhr scharrt also der gemeine Triathlet Seite an Seite mit den ebenso hungrigen Pensionisten vor der verschlossenen Tür in den Startlöchern, bereit für den Kampf um die besten Plätze am Futtertrog. Was dann folgt spottet jeder Beschreibung. Da werden Eier mit Speck, Nudeln, Schweinskoteletts, Kartoffelauflauf, Schokoladepalatschinken und was auch immer gerade greifbar ist pyramidenartig auf pizzagroße Teller geladen und umgehend mit eineinhalb Liter dünnem Filterkaffee vertilgt. 

Die Träger von Trainingsanzügen unterscheiden sich insofern, als sie gerne zum Beginn und am Ende noch ein Müsli oder ein paar Stücke Obst zu sich nehmen, vermutlich zwecks Gewissensberuhigung. Die rüstigen Rentner hingegen haben ihren Spaß mit den Sektflaschen ("für den Kreislauf") und fühlen sich dabei wahrscheinlich ein bisschen wie auf der Costa Concordia ("Man gönnt sich ja sonst nichts!", "Ham ja nichts jehabt früher!"). Ich will mich an dieser Stelle gar nicht weiter über das Tragen von Trainingsanzügen und sonstiger Sportbekleidung außerhalb des Fußballplatzes auslassen, offenbar stehen die Germanen Geschmacksfragen auch anno 2012 so fern wie zu Marc Aurels Zeiten.

Dieses Gemetzel dauert ungefähr eine dreiviertel Stunde an, die Abservierkellner und der Spiegeleibrater leisten während dieser Zeit beinahe Unmenschliches. Danach trollen sich alle wieder in ihre Zimmer und nun muss der menschliche Verdauungsapparat Höchstleistungen vollbringen. Kaum hat er während der Nacht mehr schlecht als recht das Abendessen in seine Einzelbestandteile zerlegt folgt diese Orgie auf den Fuß. Selbst wer in Physik oft gefehlt hat kann nachvollziehen, dass man in einen Behälter mit 2,5l Fassungsvermögen nicht 5l einfüllen kann. Der eine oder die andere erinnert sich vielleicht noch an die Anekdote von Van Swieten mit Maria Theresia, derartiges würde sich auch hier anbieten.

Um also zum vorhersehbaren Ende zu kommen, in der Zeit von 8:30 bis 9:30 (+/- 15 min) herrscht Hochbetrieb bei den Toilettenspülungen, und danach ist man bereit sein Tagwerk in Angriff zu nehmen.

Wenn wir schon beim Thema angelangt sind bleiben wir gleich dabei. Es besteht eine durchaus interessante Parallele zwischen Radfahrern und Hunden. Kaffee, Wasser und diverse zuckerhaltige Geheimrezepturen in den Bidons führen je nach Wetter und Grad der Anstrengung früher oder später unweigerlich zum Harndrang. Nun kann man einen gruppendynamischen Prozess beobachten, in dessen Verlauf zuerst einer der Mitfahrer sein Bedürfnis anmeldet. Flugs erhält er Gesellschaft von weiteren Leidensgenossen, die bis dahin verschämt geschwiegen haben. Je nach Stellung des Einzelnen in der Hackordnung, den Windverhältnissen sowie dem gefahrenen Tempo übernimmt die Fraktion Pinkelpause irgendwann das Kommando und die Gruppe beginnt sich nach geeigneten Stellen umzusehen. 

Das klingt leichter als es ist. Es muss Platz für alle sein, der Verkehr sollte nicht behindert werden, Sichtschutz wäre wünschenswert, es gilt die Windrichtung zu beachten usw. usf.. Kaum hat man aus der Ferne einen idealen Windschutzgürtel erspäht stellt er sich bei näherer Betrachtung als schon besetzt heraus. Gleich den Hunden scheint es einem Rudel Radfahrer unmöglich zu sein eine bereits markierte Stelle in Beschlag zu nehmen. Man respektiert das Revier der Zuvorgekommenen (prima arborem) und sucht weiter. An anderer Stelle tauchen plötzlich Gärtner oder Spaziergänger auf, ein Bauer tuckert in seinem Traktor heran oder es gibt sonstige unüberwindbare Hindernisse. Das kann eine ganze Weile so dahingehen bis beim Ersten die Sicherungen durchbrennen, und ist dieser Bann mal gebrochen gibt es auch für alle anderen kein Halten mehr, Umfeld hin oder her.

Um das Thema der kleinen Nöte und Sorgen abzuschließen noch ein paar Worte zur Körperpflege. Zusätzlich zu den Kosmetikartikeln die auch jeder andere Urlauber benötigt, wir sprechen hier etwa von Duschgel, Shampoo, Zahnpasta und Sonnencreme, führt der Sporturlauber im Trainingslager noch ein ganzes Arsenal an weiteren unverzichtbaren Utensilien in seinem Gepäck. Die Rede soll hier nicht von "Vitaminen" und sonstigen Hilfsmitteln sein, die bestimmt auch im Hobby- und Amateurbereich viel weiter verbreitet sind als dies öffentlich bekannt ist, gegen einen entsprechenden Vorschuss schreibe ich auch dazu gerne eine Fortsetzung des Matschiner-Buches.

Nein, hier geht es um die diversen Cremes, Salben und Öle die der durchschnittliche Hobbysportler so in seinem Kulturbeutel mitführt. Unverzichtbar bei 40 Wochenstunden am Fahrradsattel, speziell so früh im Jahr wo der Körper diese Umfänge noch nicht gewohnt ist, ist die allseits bekannte Gesäßcreme von Assos. Man kann sich das als eine Art Melange aus Nivea-Creme und Vaseline vorstellen, die man nach dem Duschen beziehungsweise vor Fahrtantritt auf die heiklen Stellen appliziert. Klingt komisch, ist aber so. Und wirkt. 

Nicht zu verwechseln ist die Sitzcreme mit den Muskelsalben und Massageölen, die man zwecks Förderung der Durchblutung auf die geschundenen Glieder aufträgt. Im Prinzip funktionieren diese Dinge wie der gute alte Franzbranntwein, man kann aber ein Mehrfaches dafür verlangen wenn das Marketing stimmt. Sollte einem die Unachtsamkeit widerfahren, dass man die Tuben verwechselt, so bemerkt man das sofort, ich meine wirklich noch in derselben Sekunde! Spontan kommt mir dabei die Assoziation "hard boiled egg" in den Sinn. Nun ja, als Ironman ist man einiges gewohnt, hoffen wir mal dass es keine Spätfolgen zeitigt.

Tischgespräche 

Bin ich anders? Als mithin eine der größten Härten im Rahmen so einer Trainingswoche empfinde ich die Themenauswahl bei Tischgesprächen, ganz gleich ob beim Nachmittagskaffee, zum Abendessen oder in den einschlägigen Tschecherln beim Betthupferl (was die meisten 99ers ja nur vom Hörensagen kennen).

Es ist nur natürlich, dass man die Highlights des Tages nochmals Revue passieren lässt, zum Beispiel wenn man einem holländischen Touristen der zum ersten Mal in seinem Leben in einem Mietwagen mit Handschaltung sitzt und noch nie zuvor Serpentinen gesehen hat in einer waghalsigen Abfahrt gezeigt hat wo der Bartel den Most herholt. Auch dass man den Wetterbericht und die Planung für den nächsten Tag bespricht ist soweit normal.

Aber man sollte meinen das war es dann irgendwann auch. Natürlich liebt jeder diesen Sport, sonst wären wir nicht hier, aber nach dem Dehnen und Duschen kann man auch mal eine andere Platte auflegen. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass ich mich hier ganz offensichtlich in einem Paralleluniversum befinde wo es außer Radsport und Triathlon nur ganz vereinzelt Fragmente aus der Welt da draußen auf die Insel schaffen (das Champions League-Spiel der Bayern war so ein Ereignis).

Da werden einem ohne Unterlass Kilometer und Höhenmeter, Durchschnitts- und Maximalgeschwindigkeiten, Pulswerte, Vergleichszeiten aus früheren Trainingslagern, Erlebnisse in diversen Amateurwettkämpfen und so weiter in einem fort um die Ohren geschmissen. Patienten mit fortgeschrittenem Krankheitsbild haben auch jederzeit ihr Notebook zur Hand, um die SRM- und Powertap-Auswertungen zu präsentieren und dazu langatmige Erläuterungen ihrer Watt- und Pulskurven zu geben. Ungefragt und nicht enden wollend.

Und ist man damit durch folgt unweigerlich das Thema Technik. Die neuesten Aero-Laufräder, Pro und Contra zur elektronischen Schaltung, Gewichtsminimierung beim Sattel und was weiß ich noch alles wird da mit einer beängstigenden Ernsthaftigkeit bis zur völligen Erschöpfung aller Beteiligten diskutiert. Oft geraten sich sogar zwei Streithähne wegen solcher Dinge in die Haare. Was uns als Kindern in solchen Fällen die Autoquartett-Karten waren (der Ferrari XYZ hat 632 PS) löst heute gottlob das Smartphone als letzte Instanz, in der Regel kann man also von einem Duell Abstand nehmen.

Ob Billa-Verkäuferinnen nach Feierabend auch unentwegt darüber schwatzen wie man bestimmte Großpackungen am besten über den Scanner zieht, oder was sie am liebsten mit jenen Kunden tun würden, die es nicht schaffen die Etiketten von der Obstwaage knitterfrei aufzukleben? Eher nicht. Noch volkstümlicher, wenn sich Tischlergesellen in der Mittagspause übers Hobeln unterhalten geht es ziemlich sicher nicht um Tische und Einbauschränke.

Anscheinend geht das aber nur mir auf den Sack, alle anderen sind mit dieser permanenten Nabelschau offenbar wunschlos glücklich. Zarte Versuche meinerseits, das Gespräch auf Weltereignisse wie beispielsweise den Tod des Königs von Tonga oder den Zores den der Zar von Moskau oder der Sultan von Damaskus gerade haben zu lenken, sind ausnahmslos kläglich gescheitert. Wenn überhaupt empfiehlt es sich beim Thema Sport zu bleiben und so langsam ein Hintertürchen aufzumachen; bei den Bergdeutschen etwa kommt man zurzeit am ehesten mit Marcel Hirscher durch.

Immerhin habe ich für solche Fälle ein absolutes As im Ärmel: sobald ich unsere letztjährige Teilnahme an Mailand - San Remo erwähne habe ich für mindestens eine Viertelstunde die Lufthoheit am Stammtisch. Ansonsten habe ich mir in diesem Jahr zur Ablenkung diese Schreibtherapie auferlegt, sozusagen Nabelschau über die Nabelschau. Wer weiß, beim nächsten Mal lasse ich mir vielleicht einen Steinblock auf die Terrasse stellen und meißle nach dem Training Miguel Indurain aus Granit.

Statt einer Bilanz 

Obgleich die ganze Angelegenheit schon bisher reichlich skurril war ist Mitte März der letztmögliche Termin bevor es hier richtig außerirdisch wird. Bereits dieses Wochenende haben sich beim großen Schichtwechsel zwei Entwicklungen deutlich abgezeichnet: erstens nimmt die Menge der Radfahrer nochmals deutlich zu, und zweitens ist viel nicht automatisch besser. Nach meiner Prognose werden spätestens Ende nächster Woche mehr Sportler als Pensionisten die Insel bevölkern.

Die Echten sind ja bereits seit einigen Wochen im Renneinsatz, und schön langsam nimmt auch bei den Hättiwaris der Anteil der Tandemfahrer, Reiseradler und sonstiger verachtenswerter Gestalten zu. Spätestens ab April wird die Insel fest in der Hand von Leuten sein die zum Trinken anhalten. So betrachtet hab ich frei nach Tante Jolesch noch ein Glück gehabt.

Mir wurde sogar die Ehre zuteil mit einem zweimaligen Teilnehmer an der Österreich-Rundfahrt die Königsetappe entlang der Westküste unter die Räder zu nehmen. Kein Siegfahrer, aber immerhin zumindest ein bis vor kurzem noch Echter. Finanziell hat es sich für ihn nicht gelohnt, er werkt jetzt im norwegischen Außenministerium. So bin ich unverhofft zu einer interessanten Einschätzung einiger österreichischer Fahrer der letzten Jahre gekommen. Luttenberger: „unsympathisch, aber stark"; Totschnig: „guter Bergfahrer, hat es aber ein bisschen übertrieben" (eh schon wissen); Kohl: „andere Anpinkeln geht gar nicht".

Wie auch immer, unterm Strich bleiben sieben Tage in kurz/kurz und es lief besser als erwartet, Zahlen erspare ich uns an dieser Stelle. Ich trage schon Ende März die charakteristischen Brandzeichen des Rennradfahrers, die Freibadsaison ist also wieder mal gelaufen. Sollte ich das zum Anlass nehmen ernsthaft einen Anlauf auf Kona in Betracht zu ziehen, Chance auf Scheitern inklusive? Mal sehen was das Leben im April bereithält und wie ich mich bei diversen Testwettkämpfen in den kommenden Wochen schlage.

1 Kommentar:

  1. Ich habe diese Region mehrmals besucht, ich kann sagen, dass es mir sehr gut gefallen hat, aber ich bevorzuge immer noch etwas nördlichere Ziele. Zum Beispiel bin ich vor zwei Monaten mit diesem Schiff Reise in die Antarktis gereist. Es war unglaublich!

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